
Kraniosynostosen
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Einleitung
Willkommen auf der Website des Kraniofazialen Zentrums der Charité in Berlin. Hier finden Sie Informationen über häufig von uns behandelte Erkrankungen, über das chirurgische Team und über Abläufe im Falle eines Aufenthalts bei uns.
Unser Kraniofaziales Zentrum gründet sich auf einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit der verschiedenen medizinischen Fachdiziplinen der Kinderneurochirurgie, der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, der Kieferorthopädie, der Kinderchirurgie, der Kinderanästhesie, der Pädiatrischen Intensivmedizin und Neuropädiatrie, der Augenheilkunde, der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, der Kinderradiologie, der Geburts- und Neugeborenenmedizin, der Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und der Humangenetik.
Die operative Behandlung von kraniofazialen Auffälligkeiten, die überwiegend die Stirn und den Schädel betreffen wird durch die Ärztinnen und Ärzte der Kinderneurochirurgie gewährleistet; ist auch das Gesicht betroffen, erfolgt die operative Behandlung durch Ärztinnen und Ärzte der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und der Kinderneurochirurgie.
Die Zahl der pro Jahr an unserem Zentrum behandelten Kinder hat über die vergangenen Jahre ständig zugenommen, gegenwärtig werden mehr als 120 Kinder mit Kraniosynostosen aller Art pro Jahr operativ behandelt.
European Reference Network (ERN)
Auf Initiative der Europäischen Kommission wurden im Jahr 2017 mehrere Referenznetzwerke (ERN) für die Behandlung seltener und komplexer Erkrankungen auf europäischer Ebene eingerichtet. Eines dieser Referenznetzwerke widmet sich kraniofazialen Erkrankungen (European Reference Network on Craniofacial Anomalies and ENT Disorders – ERN Cranio). Innerhalb der Referenznetzwerke arbeiten Kliniken europäischer Länder mit der gemeinsamen Zielsetzung zusammen, die Versorgung betroffener Patienten mit seltenen Erkrankungen zu verbessern.
Im ERN Cranio sind europäische Kliniken mit besonderer Expertise in der Behandlung kraniofazialer Fehlbildungen und Erkrankungen zusammengeschlossen; das Kraniofaziale Zentrum der Charité ist seit 2017 ein deutsches Referenzzentrum in diesem europäischen Netzwerk.
Die Webseite des ERN Kranio können Sie hier finden: https://ern-cranio.eu/
Das ERN Kranio mit aufschlussreichen Videos, Webinaren und Animationen für Patienten, Angehörige und Fachleute auf youtube finden Sie hier: https://www.youtube.com/@erncranio9487
Einfache Synostosen (single suture craniosynostosis)
Als "einfache" Kraniosynostosen bezeichnet man Synostosen, bei denen nur eine einzelne Schädelnaht vorzeitig verschlossen ist ("single suture craniosynostosis"). Generell führt ein Verschluss einer Schädelnaht zu einer Wachstumshemmung in senkrechter Richtung zum eigentlichen Verlauf der Naht (nach R. Virchow) und führt zur Ausbildung einer jeweils typischen Kopfform je nach betroffener Schädelnaht. Die verschiedenen Schädelnahtsynostosen werden im Folgenden vorgestellt.
Sagittalnahtsynostose (Scaphocephalie)
Die typische Veränderung der Kopfform wird durch die vorzeitige Verknöcherung der Pfeilnaht (Sagittalnaht), welche zwischen der vorderen und hinteren Fontanelle verläuft, hervorgerufen. Infolgedessen kann der Kopf im Scheitelbereich nicht in die Breite wachsen und bleibt dort schmal. Es kommt zu einem Ausgleichswachstum der sich übermäßig vorwölbenden Stirn und des Hinterhaupts, sodass sich eine sehr langgestreckte und schmale Kopfform entwickelt (Scaphocephalie, Dolichocephalie).
Die operativen Behandlungsmöglichkeiten bestehen entweder in der endoskopischen Operation im Alter von 3 Monaten mit anschließender Helmtherapie oder der Schädelumformung im 6. Lebensmonat. Beide Operationen dauern ungefähr eine Stunde.
Frontalnahtsynostose (Trigonocephalie)
Bei einer Frontalnahtsynostose (Verknöcherung der senkrecht in der Stirn verlaufenden Frontalnaht) kann sich die normale Breite der Stirn nicht ausbilden. Es entwickelt sich eine bugförmige Stirn, welche besonders beim Anblick von oben deutlich wird. Außerdem ist die knöcherne Abdeckung der seitlichen Augenhöhlen vermindert und es bestehen Einziehungen beider Schläfenregionen. Oft ist ein seitliches Ausgleichswachstum der hinteren Scheitelregionen zu beobachten, sodass sich beim Anblick von oben eine dreieckige Kopfform ergeben kann (Trigonocephalie).
Die operative Behandlung kann entweder endoskopisch im Alter von 3 Monaten mit anschließender Helmtherapie oder durch eine Schädelumformung (sogenanntes fronto-orbitales Remodeling oder Advancement) ab dem 10. Lebensmonat in einer 2,5- bis dreistündigen Operation erfolgen.
Koronarnahtsynostose (anteriore Plagiocephalie)
Durch eine einseitige Koronarnahtsynostose (Verknöcherung der rechten oder linken seitlich im Haaransatz verlaufenden Koronarnaht) entwickelt sich eine Asymmetrie der Stirn, mit einer Abflachung auf der betroffenen Seite (anteriore Plagiocephalie). Die Asymmetrie wird oft durch eine betonte Stirnvorwölbung auf der Gegenseite verstärkt. Die seitliche knöcherne Abdeckung der Augenhöhle auf der betroffenen Seite ist unvollständig ausgebildet und die betroffene Augenhöhle abgeflacht und zur Seite ausgezogen; das betroffene Auge wirkt größer. Hinter der Naht im Ohrbereich kann eine leichte knöcherne Vorwölbung der Schläfenregion entstehen, die ebenfalls als Ausgleichswachstum zu verstehen ist. Meist entwickelt sich ein leichtes Abweichen der Nasenspitze und des Kinns zur Gegenseite (s.g. Gesichtsskoliose).
Bei der selteneren beidseitigen Koronarnahtsynostose kommt es zur Entwicklung einer sehr hohen und steilen Stirn; die Augenhöhlen sind beidseitig weniger tief, die Augen liegen oberflächlicher und können prominent wirken.
Wie auch bei der Frontalnahtsynostose kann entweder endoskopisch im Alter von 3 Monaten mit anschließender Helmtherapie oder durch ein fronto-orbitales Remodeling ab dem 10. Lebensmonat behandelt werden.
Lambdanahtsynostose (posteriore Plagiocephalie)
Im Vergleich zu den häufig beobachteten lagebedingten Asymmetrien des Hinterhaupts tritt eine Asymmetrie aufgrund einer Verknöcherung der rechten oder linken Hinterhauptsnaht (Lambdanaht) selten auf. Dabei entwickelt sich eine einseitige Abflachung des Hinterkopfs mit einem Ausgleichswachstum der gegenseitigen hinteren Scheitelregion (posteriore Plagiocephalie). Die Position der Ohren ist typischerweise in der Ansicht von vorne ebenfalls asymmetrisch. Eine operative Behandlung zur Harmonisierung des Hinterhaupts wird meistens in der zweiten Hälfte des 1. Lebensjahrs durchgeführt.
Multiple Kraniosynostosen
Während bei der überwiegenden Anzahl der betroffenen Kinder nur eine einzelne Schädelnaht vorzeitig verschlossen ist und zu den charakteristischen oben beschriebenen Kopfformen führt, gibt es seltener Kinder bei denen ein Verschluss mehrerer Schädelnähte vorliegt, z.B. eine Kombination von Koronarnaht- und Sagittalnahtsynostose. Bei einem Teil der Kinder lässt sich ein beschriebene syndromale Erkrankung (s.u.) nachweisen.
In Abhängigkeit von den jeweils betroffenen Schädelnähten und der resultierenden individuellen Kopfform werden die im Weiteren beschriebenen operativen Techniken angewandt. In der Regel wird bei Kindern mit multiplen Synostosen eine MRT Untersuchung und eine genetische Untersuchung veranlasst.
Syndromale Kraniosynostosen
Die Behandlung von Kraniosynostosen, die im Rahmen einer bekannten syndromalen Erkrankung auftreten, bedarf eines individuellen, auf das jeweilige Kind zugeschnittenen Behandlungsplanes. Beispiele für Syndrome, in deren Rahmen Kraniosynostosen auftreten sind Morbus Crouzon, Morbus Apert, Morbus Pfeiffer, Muenke Syndrom und Saethre-Chotzen Syndrom. Zusätzlich zu den Kraniosynostosen des Schädels mit den typischen Veränderungen können auch Synostosen der Schädelbasis und der Nähte im Gesichtsbereich vorliegen, sodass die Einbeziehung des Gesichts neben einer kosmetischen Beeinträchtigung auch zu einer funktionellen Beeinträchtigung der Atemwege mit Behinderung der Atmung durch die Nase führen kann. Durch die Verkleinerung der knöchernen Augenhöhlen können die Augen sehr prominent und hervorgetreten wirken und es können Probleme mit dem Lidschluss auftreten.
Anders als bei den einfachen Kraniosynostosen sind bei syndromalen Synostosen weitere diagnostische und radiologische Untersuchungen indiziert. Mittels einer Kernspintomographie (MRT) lassen sich das Vorliegen weiterer Anlagestörungen des Gehirns oder Störungen der Hirnwasserzirkulation (Hydrocephalus) untersuchen und Notwendigkeit bzw. Dringlichkeit einer Behandlung einschätzen. Augenärztliche und HNO-ärztliche Untersuchungen geben Hinweise auf mögliche Beeinträchtigungen in den jeweiligen Organsystemen und deren Behandlungsmöglichkeiten. Eine humangenetische Untersuchung und Beratung ermöglicht die korrekte Diagnosestellung.
Die Behandlung von Kindern mit syndromalen Kraniosynostosen folgt einem mehrstufigen Plan. Am Anfang sind die Behandlungsmaßnahmen darauf ausgelegt, dem wachsenden Gehirn ausreichend Raum zu geben, um eine normale Größenzunahme und damit eine normale Entwicklung zu ermöglichen. Bei in seltenen Fällen und bei ausgeprägter Wachstumsrestriktion bei multiplen Kraniosynostosen muss eine operative Intervention bereits in den ersten Lebenswochen erfolgen. Die dann durchgeführte biparietale Dekompression (beidseitige Knochenentfernung im Bereich des Scheitels) bewirkt eine unmittelbare Entlastung des Gehirns und gibt dem sich entwickelnden und an Größe zunehmenden Gehirn ausreichend Platz für die ersten Lebensmonate.
In ersten Lebensjahr erfolgt je nach individueller Ausprägung oft eine operative Schädelumformung - z.B. eine Erweiterung des Hinterhaupts oder ein fronto-orbitales Remodeling - mit dem Ziel dem sich entwickelnden Gehirn ausreichend Raum zu geben. Gelegentlich muss bei einer Störung der Hirnwasserzirkulation (Hydrocephalus) eine Ableitung des Hirnwassers über einen implantierten Shunt oder eine endoskopische Ventrikulostomie erfolgen.
Mit zunehmender Knochenreife wird im Kleinkindalter die Behandlung der Auffälligkeiten des Gesichts möglich. Der Zeitpunkt für Korrekturen des Mittelgesichts ist abhängig von der Schwere der funktionellen Beeinträchtigung z.B. der Nasenatmung oder der Augenfunktion. Meistens erfolgt ein solcher Eingriff im Vorschulalter. Eine Operation zur Korrektur des Mittelgesichts wird individuell geplant. Anhand eines aktuellen CTs wird ein Schädelmodell aus Kunststoff hergestellt, an welchem sich die durchzuführende Operation planen lässt. Mittels Computersimulation lässt sich die erwünschte und durch die Operation angestrebte Kopf- und Gesichtsform im Voraus darstellen. Im Rahmen der Operation werden die knöchernen Strukturen, welche der Stirn und dem Gesicht die Form verleihen, entkoppelt und an unter der Haut implantierten, beidseitigen Distraktorsystemen festgemacht. Auch eine gleichzeitige Korrektur eines vergrößerten Augenabstandes oder Abweichungen der Augenachsen sind möglich. Im Verlauf der sich an die Operation anschließenden Tage und Wochen wird das implantierte Distraktorsystem aktiviert und die gelösten Knochen der Stirn und des Mittelgesichts millimeterweise vorgeschoben, bis eine optimale Position mit Vergrößerung der Atemwege im Nasen-Rachenraum und der Augenhöhlen erreicht worden ist. Wenn ein ausreichendes Festwachsen der verlagerten knöchernen Stirn- und Mittelgesichtsknochen in der neuen Position erreicht worden ist, können nach 3 bis 6 Monaten die Distraktoren in einem kleineren operativen Eingriff entfernt werden.
Sollten wegen Bissfehlstellungen weitere operative Eingriffe notwendig sein, so werden diese in der Regel durchgeführt, wenn das erwachsene Gebiss vollständig ausgebildet ist.
Kleeblattschädel (clover leaf skull)
Bei einem sogenannten Kleeblattschädel (Englisch: clover leaf skull) bestehen gleichzeitig Synostosen mehrerer Schädelnähte. Meistens sind die Sagittalnaht, beide Koronarnähte gegebenenfalls auch die Frontalnaht und Lambdanähte betroffen. In der Folge zeigt sich schon bei der Geburt die typische Kopfform mit einem haubenförmigen Ausgleichswachstum nach oben über die vergrößerte Fontanelle und beidseits höckerförmigen Vorwölbungen der Schläfenregion, sodass in der Sicht von vorne die Kopfform an ein dreiblättriges Kleeblatt erinnert. Da die Ausformung der knöchernen Augenhöhlen ebenfalls beeinträchtigt ist, wirken die Augen oft deutlich vorgewölbt. Die Vielzahl der Nahtsynostosen bewirkt, dass der Schädel des Kindes nicht ausreichend an Volumen zunehmen kann, sodass es zu einer Drucksteigerung im Schädelinneren (Steigerung des intrakraniellen Drucks – ICP) kommt. Aus diesem Grund ist bei einer Kleeblattschädeldeformität oft eine frühzeitige Entlastungsoperation (Dekompression) in den ersten Lebenswochen notwendig. Im Laufe des 1. Lebensjahrs müssen dann in weiteren Operationen die Stirn mit Augenabdeckung und gegebenenfalls der Hinterkopf korrigiert werden.
Diagnostische Maßnahmen
Meistens ist es die ungewöhnliche Kopfform, die den Eltern oder den behandelnden Kinderärzten auffällt und die eine Vorstellung in einer spezialisierten Klink zur Folge hat. Da selbst einfache Kraniosynostosen insgesamt selten auftreten (1 in ca. 2000 neugeborenen Kindern), ist eine gewisse Verzögerung bis zur Überweisung nicht ungewöhnlich. Anders als bei lagebedingten Auffälligkeiten der Kopfform ist die typische Kopfform bei Kraniosynostosen in der Regel schon bei Geburt vorhanden und verliert sich nicht mit zunehmendem Alter. Da ein Teil der Behandlungsmöglichkeiten (endoskopisch-assistierte Verfahren) nur bis zum 3 Lebensmonat durchgeführt werden, ist eine frühzeitige Vorstellung sinnvoll.
Vor einer Vorstellung in der Kraniofazialen Sprechstunde der Charité sind keinerlei Voruntersuchungen notwendig. Bei einfachen Kraniosynostosen, bei den nur eine Schädelnaht betroffen ist, erlaubt die typische und unverwechselbare Kopfform eine Diagnose allein anhand des Erscheinungsbildes. Eventuell kann eine Ultraschalluntersuchung den Verschluss einer Schädelnaht bestätigen. Röntgen-basierte Untersuchungen (konventionelles Röntgen oder CT) sind nicht notwendig und sollten nicht durchgeführt werden, um eine unnötige Strahlenbelastung zu vermeiden. Auch die Entscheidung, ob eine operative Behandlung in Betracht gezogen werden sollte, ist nicht von Röntgen-basierten Untersuchungen sondern in erster Linie vom Erscheinungsbild des Kindes und dem Ausmaß der äußerlichen Veränderungen abhängig.
Im Unterschied zu dem eben Gesagten wird bei Kindern mit einer Lambdanahtsynostose und bei Kindern mit multiplen Synostosen oder Kindern mit kraniofazialen Syndromen in der Regel eine MRT durchgeführt. Außerdem wird in der Regel eine augenärztliche Untersuchung zur Beurteilung der Sehnerven durchgeführt.
Bei allen Kindern wird eine 3D-Photographie bei jeder Vorstellung durchgeführt. Diese dienen der Dokumentation und Erlauben einen objektiven Vergleich des prä-und postoperativen Zustands und damit der erreichten Korrektur.
Therapiemöglichkeiten
a) Konservative Behandlung
Eine durch eine Schädelnahtsynostose hervorgerufene, auffällige Kopfform lässt sich nicht durch Physiotherapie, manuelle Therapie, Lagerungsmaßnahmen, Osteopathie oder eine alleinige Helmtherapie ausreichend beeinflussen. Oft aber werden Physiotherapie und Lagerungsmaßnahmen, zum Beispiel mit speziellen Kissen, unterstützend oder in Vorbereitung auf eine operative Korrektur empfohlen und durchgeführt.
b) Operative Behandlung
Sollte eine operative Korrektur die Schädelauffälligkeit erwogen werden, so kommen prinzipiell zwei Wege in Betracht. Im Rahmen einer frühen endoskopisch-assistierten Operation wird eine begrenzte Entnahme des Knochens im Verlauf der verknöcherten Schädelnaht durchgeführt. Dieses Verfahren kann bis zum vollendeten 3. Lebensmonat durchgeführt werden. Im Anschluss an diese Methode muss ein Helm getragen werden, welcher die Harmonisierung der Kopfform im Zuge des noch stattfindenden Kopfwachstums ermöglicht. Die Dauer der notwendigen Helmtherapie wird individuell festgelegt und ist von der Schnelligkeit der Normalisierung der Kopfform abhängig. Meistens kann die Helmtherapie innerhalb des ersten Lebensjahres beendet werden.
Alternativ kann zu einem späteren Zeitpunkt (5. bis 12. Lebensmonat) in einer einmaligen Operation die dauerhafte und endgültige harmonische Kopfform erreicht werden. Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick über die zumeist verwendeten OP-Methoden.
Fronto-orbitale Umformung
Die fronto-orbitale Umformung (auch fronto-orbitales Remodeling oder Advancement) ist die gängigste operative Therapiemethode zur Korrektur der Funktionsstörung der Schädelnähte im Stirnbereich (Frontalnahtsynostose, ein- und beidseitige Koronarnahtsynostose). Über einen leicht geschwungenen Schnitt, welcher von einem Ohr zum anderen über den Kopf verläuft, kann der Schädelknochen der Stirnregion inklusive der oberen Anteile der Augenhöhlen schonend freigelegt werden. Der Knochen wird in zwei Anteilen entnommen, beginnend mit der eigentlichen Stirn und gefolgt vom so genannten Bandeau, der Stirnbasis, das den Oberrand der Augenhöhlen beinhaltet. Beide Fragmente werden an bestimmten Stellen so geschwächt, dass sie verformbar werden. Die gewünschte neue Form wird durch eine innen anliegende resorbierbare Platte gehalten, die sich im Laufe eines Jahres vorständig auflöst. Die umgeformten Elemente werden wieder eingesetzt und durch resorbierbare Platten und Nähte fixiert. Die rekonstruierte Stirn ist so stabil, dass auch kleinere Unfälle wie Umfallen und Anstoßen keine Folgen haben. Der Verschluss der Wunde erfolgt in aller Regel mit auflösbarem Nahtmaterial und mit Gewebekleber; Fadenentfernung oder Materialentfernung im Rahmen einer zweiten Operation sind nicht erforderlich. Aufgrund des leicht geschwungenen Schnittes hinter der Haarlinie ist die feine Narbe gut verborgen. Die Dauer einer fronto-orbitalen Umformungsoperation beträgt 2,5 bis 3 Stunden. In den allermeisten Fällen ist eine Bluttransfusion notwendig.
Weitere zusammengefasste Informationen können Sie hier in einem vom ERN Cranio publizierten Informationsvideo zum Fronto-Orbitalen Remodeling am Beispiel einer Frontalnahtsynostose finden: https://www.youtube.com/watch?v=5SA3Bw7rBhE&list=PL0LtsL_Mr0Yw6tNYGrRKlON4QrembQchd&index=8
Parieto-okzipitale Umformung
Durch eine parieto-okzipitale Umformung lässt sich die Form des Hinterhaupts (z.B. bei Lambdanahtsynostose) harmonisieren. Hierfür gibt es verschiedene Operationsmethoden. Bei einer gängigen Methode wird der Knochen des Hinterhaups über seine ganze Breite mäanderförmig eingeschnitten und die entstehenden elastischen Knochenzungen gegeneinander so versetzt fixiert, dass eine Vergrößerung des Schädelvolumens in diesem Bereich und eine Verbesserung der Kopfform erreicht wird. Alternativ besteht auch die Möglichkeit einen größeren zusammenhängenden Bereich des Hinterhauptsknochens umzuformen, zu verschieben (ggf. unter Verwendung von implantierten Distraktoren) und mit den oben genannten Techniken in der gewünschten Position zu fixieren.
Dekompressionsoperation
Bei einer Dekompressionsoperation bei Sagittalnahtsynostose wird über einen verkürzten Hautschnitt im Scheitelbereich des behaarten Kopfes die Schädeloberfläche dargestellt. Nach Entnahme eines zentralen Knochenfragmentes werden radiäre Schnitte in den Schädelknochen angebracht. Die so entstehenden Knochenlaschen werden durch das wachsende Gehirn weiter auseinandergedrückt und fusionieren in den folgenden Monaten in neuer Position. Dadurch kommt es zu einer deutlichen Zunahme der anfänglich verminderten Breite des Kopfes und in dessen Folge auch zu einer Rückbildung der prominenten Stirn und des Hinterhaupts. Es verblieben in der Regel keine dauerhaften Knochendefekte. Bei der Mehrheit der operierten Kinder ist keine Bluttransfusion notwendig.
Endoskopische Dekompressionsoperation
Eine endoskopische Operation kann bis zum Ende des dritten Lebensmonates als Alternative für die oben genannten Operationsmethoden in Erwägung gezogen werden. Hierbei wird über ein oder zwei kleine Schnitte, die über dem Verlauf der verschlossenen Naht angelegt werden, ein schmaler Knochenstreifen entlang dem gesamten Verlauf der Naht unter endoskopischer Sicht entnommen. Im Gegensatz zur den anderen Operationsmethoden bewirkt dieser Eingriff zunächst eine Destabilisierung und keine unmittelbare Veränderung der Kopfform durch die Operation. Die Harmonisierung der Kopfform wird durch das folgende Kopfwachstum und die sich notwendigerweise anschließende Helmtherapie im Laufe der folgenden Monate innerhalb des ersten Lebensjahres erreicht.
Weitere zusammengefasste Informationen können Sie hier in einem vom ERN Cranio publizierten Informationsvideo zur endoskopisch assistierten Kranioplastik am Beispiel einer Frontalnahtsynostose finden: https://www.youtube.com/watch?v=g4Fs4KK7vb4
Weitere zusammengefasste Informationen können Sie hier in einem vom ERN Cranio publizierten Informationsvideo zur endoskopisch assistierten Kranioplastik am Beispiel einer Sagittalnahtsynostose finden: https://www.youtube.com/watch?v=SI4GusRIsfs
Weitere zusammengefasste Informationen können Sie hier in einem vom ERN Cranio publizierten Informationsvideo zur endoskopisch assistierten Kranioplastik am Beispiel einer Coronarnahtsynostose finden: https://www.youtube.com/watch?v=5Se23pLUTyU
Kraniosynostosen bei älteren Kindern und Jugendlichen
Obwohl der ideale Zeitpunkt für eine operative Korrektur der Schädelform im ersten Lebensjahr liegt, sind operative Eingriffe auch später möglich. Da der Knochen des Kindes aber mit zunehmendem Alter fester und schwieriger formbar wird und die Fähigkeit zur Knochenneubildung in Bereich des Schädels deutlich abnimmt, werden bei älteren Kindern individuell angepasste Operationsstrategien eingesetzt.
Ambulante Beratung und stationäre Aufnahme
Ihr Aufenthalt bei uns – vor einer Operation
In der Regel steht für Sie eine ambulante Vorstellung in unserer kraniofazialen Sprechstunde am Anfang. Hierfür können Sie problemlos einen raschen Termin telefonisch vereinbaren. In der Sprechstunde unterhalten wir uns über die bisherige Entwicklung Ihres Kindes, besprechen bereits vorhandene Befunde und schauen uns vor allem die Kopfform Ihres Kindes an. Da Kraniosynostosen (vorzeitiger Verschluss einer Schädelnaht) zu einer spezifischen und typischen Kopfform führen, ist es möglich mit Erfahrung die korrekte Diagnose allein anhand des Anschauungsbefunds zu stellen. Auf Röntgenuntersuchungen oder Computertomographien (CT) sollte zur Vermeidung von Strahlenbelastung verzichtet werden. Sollte es sich bei der auffälligen Schädelform ihres Kindes um eine (häufige) lagebedingte Asymmetrie handeln, so kann zum Beispiel mit Physiotherapie, speziellen Lagerungshilfen oder einer Helmtherapie behandelt werden. Sollte jedoch die Ursache für die auffällige Kopfform eine echte Kraniosynostose sein, so kann in Abhängigkeit von deren Ausprägung eine operative Therapie erwogen werden. In der Regel wird eine Fotodokumentation angefertigt und es werden Folgetermine in der Sprechstunde vereinbart, um später aufkommende Fragen besprechen zu können. Sollte Ihnen eine operative Korrektur vorgeschlagen werden und Sie sich dafür entscheiden, kann ein Operationstermin entsprechend Ihren Vorstellungen vereinbart werden.
Sollten Sie nicht in der Lage sein, unsere Sprechstunde besuchen zu können, ist natürlich auch eine telefonische Kontaktaufnahme und das Zusenden von Fotos oder erhobenen Befunden zur Beurteilung per e-mail möglich.
Ihr Aufenthalt bei uns – zu einer Operation
Sollten Sie zu einer Operation zu uns kommen, so werden Sie in der Regel in die Kinderklinik auf Station 27 aufgenommen. Selbstverständlich wird ein Elternteil mit dem Kind aufgenommen und kann auf der Station im gleichen Zimmer schlafen. Am ersten Tag erfolgt die Vorbereitung für die Operation, d.h. eine kinderärztliche Untersuchung, eine Blutentnahme, eventuell eine erneute Fotodokumentation und die nochmaligen Aufklärungsgespräche mit den Ärzten der Kinderanästhesie und dem OP-Team.
Am Folgetag findet die Operation statt. Anschließend wird Ihr Kind für ein bis zwei Nächte auf der Kinderintensivstation (Station 25i) von den Schwestern, Pflegern und Ärzten dort betreut. Für diese Zeit bemühen wir uns, Sie in einem der Elternzimmer auf der Intensivstation unterzubringen.
Am ersten oder zweiten postoperativen Tag können die Kinder meist auf die normale Station zurückverlegt werden. Hier werden Sie noch wenige Tage verbringen, bis sich die durch die Operation bedingte Schwellung zurückgebildet hat und ihr Kind sich so erholt hat, dass Sie sich zutrauen, zuhause zurechtzukommen. Insgesamt sollten Sie für den gesamten stationären Aufenthalt eine Woche einplanen, meist ist eine Entlassung jedoch früher möglich.
Ihr Aufenthalt bei uns – nach einer Operation
Nach der Entlassung sollten Sie sich einmal bei Ihrem Kinderarzt vorstellen. Die Operationswunde wird entweder mit einem Wundkleber verschlossen oder mit sich selbst auflösenden Fäden genäht. Es müssen keine Fäden entfernt werden.
Telefonisch und persönlich stehen wir auch nach der Operation weiterhin jederzeit zur Verfügung. Einen geplanten Termin zur Nachuntersuchung in unserer craniofazialen Sprechstunde erhalten Sie ungefähr 3 Monate nach der erfolgten Operation. Sollte nach einer endoskopischen Operation eine Helmbehandlung notwendig sein, erhalten Sie dafür gesonderte Termine zur Anpassung des Helms und Folgeuntersuchungen bei einem spezialisierten Helmtherapeuten. In den folgenden Jahren würden wir Sie noch einmal jährlich bis zum Schuleintritt ihres Kindes zu einer Nachuntersuchung zu uns einladen
Selbsthilfegruppen
In dem Bereich der Kraniosynostosen gibt es verschiedene Selbsthilfegruppen, in denen ein Erfahrungsaustausch der Eltern und Betroffenen unkompliziert untereinander möglich ist. Exemplarisch finden Sie hier Kontaktadressen:
Elterninitiative Apert-Syndrom und verwandte Fehlbildungen e. V.
In Kooperation mit der Elterninitiative Apert-Syndrom und verwandte Fehlbildungen e.V. wurde eine überblickartige Zusammenfassung der verschiedenen Behandlungskonzepte bei kraniofazialen Fehlbildungen erstellt. Unter folgender Adresse können Sie sich diese Informationsschrift herunterladen:
www.apert-syndrom.de/downloads/informationsschriften